Die beste Medizin

by Markus P posted 10. September 2013 category Allgemein

Die alte Frau mit den nach außen stehenden Zähnen kann jede Krankheit heilen, erzählt Ramadan. Er ist unser Guide durch den Mangrovenwald von Südsansibar. Gemeinsam stehen wir in der Hütte des „Local-Healer“, des Medizinmannes – der hier eine Frau ist.

Auf den Steinböden krabbeln Kinder, ein Junge zieht sich schüchtern hinter einen Vorhang zurück. Die Alte spricht Kiswaheli. Ramadan übersetzt.
Ihre knochigen Hände zerteilen mit einem langen Messer eine Boa Boa – eine größere Nuss. Aus dem Innern der Frucht löst sie zwei Stücke und sagt, sie würden die Körperenergie stärken. Eine Art Dschungel-Red-Bull zum Knabbern – leicht bitter und ziemlich hart.

Markus und ich kamen per Taxi hierher ohne Ziel. Sich-Treiben-lassen führt auf Reisen zu den schönsten Erlebnissen. Ein 20-jähriger Bursche – das Gesicht von Carl Lewis in den Achtzigern – stand plötzlich vor uns, stellte sich als Ramadan vor und nahm uns – Markus und Markus – mit auf Exkursion. Zuerst durch einen kleinen Reptilien-Zoo. Sacht griff er eine Schildkröte aus ihrer Behausung.
„Willst mal halten?“, fragte er mich. Das Tier bewegte sich auf meinen Fingern wie in zäher Zeit. Wie das Leben hier. Wie Hakuna Matata.
Besorgnis legte sich auf Ramadans Gesicht, als er in den Käfig einer Python stieg. Wie hingeworfen lag sie da.
„Meine vierte“, sagte unser Guide und hielt uns hilflos das Tier entgegen, dessen Haut und Augen zahllose Ameisen bevölkerten.

Wir brachen auf in den Dschungel, vorbei an drei Kindern, die auf einer vor sich hin kokelnden Lichtung Holzkohle in Säcke taten.
Wieder blieb Ramadan am Rande der engen Pfade stehen, zog ein Blatt von diesem und jenem Baum, rieb es zwischen den Fingern und gab es uns zum Schnuppern: Eukalyptisch. Limonenhaft. Pfefferminzig.
„Alles Medizin.“ Der Wald als Apotheke. Medikamente seien in den Dörfern unbekannt.
Zwischendurch fragten wir ihn, wo eigentlich Freddie Mercury auf Sansibar geboren worden sei. Er runzelte die Stirn. Wir präzisierten: „Queen? Radio Gaga?“ Das sagte ihm nichts, er kenne aber Lady Gaga.
Der Geruch schwerer, feuchter Erde stieg uns in die Nasen, als wir die Mangroven erreichten und wir Fischernetze wie die auf Hiddensee erspähten. Fast alle Männer auf Sansibar sind Fischer.

Auf dem Pfad zurück durch die Wälder aus Palmen und Affenbrotbäumen stießen wir auf das Dorf mit der Medizinfrau. Und hier stehen wir jetzt. Wir, die wir uns wöchentlich eine Tablette chemisches „Lariam“ gegen Malaria einhelfen und pharmazeutische Durchfalltabletten im Reisegepäck mitführen; und sie, die all das nicht kennt, auf die Kraft der Natur vertraut. Zwei Welten in einer kleinen Hütte irgendwo in Afrika. Ein Lächeln reicht, um diese Welten zu verbinden.

Als wir aus der Tür treten, die für dünnere Leiber als unsere gemacht ist, kommen uns Kinder entgegengelaufen. Sie sehen unsere Kamera. Jeder will vor der Linse posieren, Faxen machen, die Finger zu Rappergesten formen. Aus vier Kindern werden sechs werden acht werden fünfzehn. Ihr lautes Lachen fliegt durch das staubige Dorf, in dem ich jetzt wieder den Geruch Afrikas wahrnehme. Wie vor 20 Jahren, als ich das erste Mal in Algerien war. 1001 Düfte, märchenhaft und abstoßend, magisch und morbid. Ich rieche dunklen Boden und viele Körper, Gewürze und Fisch, Meer und verbrannte Erde …
Afrika atmet – und wir saugen es gierig auf.

3 Responses to Die beste Medizin

  1. Vielen Dank fürs Mitnehmen!

  2. Wie schön das geschrieben ist. Ich trinke heute mittag eine Afrikola auf Euch und den tropischen Subkontinent. P.S.: Dunkle Körper riechen… hoho, allerhand, mein Lieber!

  3. „Die alte Frau mit den nach außen stehenden Zähnen“ steht bestimmt in direkter Verwandtschaft zu Freddie Mercury.

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