Zum Städtele hinein

by Markus P posted 13. September 2013 category Allgemein

Wenn Du nach Sansibar kommst, machst Du nichts falsch, aber alles anders. Stell‘s Dir als Antimaterie Deiner Gewohnheiten vor: Statt auf bunte Ampeln konzentrierst Du Dich im Kreuzungsbereich auf bunte, scheinbar unlösbare Metallknoten, die Du bei näherem Hinsehen als Autos identifizierst. Am Abend tanzt sich der Barkeeper fröhlich zu Dir heran statt Deinen Wink an einem coolen Blick ins Nichts abprallen zu lassen. Und wie war das noch mit der DDR? Hat die nicht damals statt Südfrüchte von hier zu importieren lieber ihre Plattenbauten hierher exportiert? Sansibar ist eine Übung im Widerspruch. Und du merkst: Zwischen Termindruck und Hakuna Matata liegt mehr als nur eine Tagesreise mit dem Flugzeug.

Zwischen unserem Hotel und Sansibar-City liegen: eine Stunde Fahrtzeit im Kleinbus, drei freundliche Polizeikontrollen und zehn afrikanische Popsongs aus wild zitternden Fahrzeuglautsprechern. Zudem: ein Abstecher ins Hinterland und eine Wanderung durch die verschwenderische Natur Ostafrikas. So wie die Wiege der Menschheit hier steht, findet sich in den hiesigen Wäldern auch der Ursprung all jener Gewürzmischungen, die in neckischen Glasbehältern unsere Küchenschränke füllen.

Unser Guide heißt Klaus, sieht aber eigentlich nicht so aus. Er zerreibt etwas Nelke zwischen seinen Fingern und reicht uns das Gewürz zum Riechen. Im Geiste erscheint mir Rostock und der vorweihnachtliche Glühweinstand unweit des Neuen Marktes. Doch das will nicht recht zu der Frau im bunten Gewand passen, die da in brütender Hitze neben einer mageren Ziege ihr kleines Kind mit Wasser aus einem Holzeimer wäscht.

Klaus hat wieder was für uns in der Hand: Ingwer.

Klaus: ganz rechts im Bild.

Klaus: rechts im Bild.

„Viagra wächst bei uns an den Bäumen“, sagt er und streckt den schwarzen Daumen nach oben. Wir stecken uns alle Gewürze in die Münder und in alles unsere Nasen. Wir saugen vor Schärfe auf den Zungen nach Luft und verdrehen vor Genuss die Augen.

Ein Junge hat uns zum Andenken lustige Hüte aus Palmenblättern gebastelt. Wir setzen sie auf, sind gerührt und sehen albern aus. Als wir abfahren, singt uns ein spindeldürrer Mann von Sansibar. Das Lied geistert uns lange durch die Köpfe, bis die Vororte der Hauptstadt einen neuen Soundtrack auflegen.

Als ich rausgucke aus dem getönten Fenster des Van bin ich wieder Kind. Ich könnte jetzt ohne Weiteres einen Meter kleiner sein, durch einen der Hauseingänge verschwinden und das Hallen meiner Schritte im Gebäude hören, während ich über die hässlichen Fliesen des kahlen Flures laufe. Wohnen in der Platte. Einst von der DDR aus dem Boden gestampft, um der BRD ein revolutionäres Schnippchen zu schlagen, um erster zu sein auf dem damals sozialistischen Eiland Sansibar.

„Hier leben die Armen“, sagt Klaus, und das will was heißen hier, und vielleicht auch, dass das eigentlich nicht so gemeint war damals. Der Wagen quetscht sich wie Talg durch eine zu enge Pore Richtung Stone Town, der historischen Altstadt Sansibar-Citys.

Wir betreten eine katholische Kirche, hinter der ein Minarett wie ein erhobener Zeigefinger mahnt. Die Geschichte, die uns Klaus erzählt, ist wie ein Schlag in unsere Magengruben: Dort, wo jetzt der Altar steht, befand sich früher der größte Sklavenmarkt Afrikas. Man prügelte mit Stöcken auf die Ware Mensch ein, um zu testen, was sie wohl aushält. Viele starben. Wer überlebte, wurde mit fünfzig anderen Sklaven in einen knapp einen Meter hohen Keller gepfercht und zwischen Exkrementen, Blut und Tod drei Tage ohne Essen und Trinken gelassen. Männer, Frauen, Kinder. Erst dann ging es auf den Markt. Unser Begleiter sagt jetzt nichts mehr, schweigt, lässt uns mit diesen Gedanken allein, bis wir den Keller verlassen.

Schon bald kündigt sich der Fischmarkt mit dem ihm typischen Geruch an. Wir zwängen uns durch die engen Zeilen der Verkaufsstände, ziehen vorbei an ausgeweideten Fischen und Eingeweiden auf Holztischen, bis wir uns inmitten des beißenden Gestanks selbst wie Fische fühlen. Wendig wie sie müssen wir sein, denn Männerhände angeln nach uns, Stimmen rufen uns Preise zu, die sich sofort reduzieren, als wir uns anschicken weiterzugehen.

So sind auch die engen Gassen der Altstadt, mit ihren kleinen Nischen voll kreischbunter Bilder, wehender Tücher und elfenbeinfarbenen Schnitzereien. Ein Motorroller bahnt sich hupend einen Weg durch die Passanten, Frauen ziehen bei unserem Anblick ihre Schleier enger um die Köpfe und funkeln uns doch manchmal mit magischen Augen an.

Plötzlich spuckt uns die Altstadt aus, wir stehen am Hafen. In der Ferne schaukelt ein Seelenverkäufer im heißen Afrikawind, Fähren werden von Menschen geflutet, in der Hoffnung, dass Gleiches mit den Decks auf hoher See nicht geschieht. Leute sitzen am Wasser, schauen verträumt und stumm drauf, wie in einer scheuen Begegnung mit der Freiheit.

Wir sitzen wieder im Kleinbus, die Lautsprecher zittern, der Nachmittag weicht das Licht auf. Wir wühlen uns durch unzählige Staus, bremsen, beschleunigen, und ich denke dabei: Das war aber jetzt knapp mit dem entgegenkommenden Fahrzeug, und daran, dass wir diesen Tag wie all die anderen Tage auf Sansibar unser Leben lang nicht vergessen werden.

One Response to Zum Städtele hinein

  1. Wer schreibt, der bleibt!

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