In Wellen

by Markus P posted 19. September 2013 category Allgemein

Kapitän Mohammed sticht in See, genauer, in einen Arm der Menaibucht, der Uzi Island von Unguja, dem größten Archipel Sansibars trennt. Mit einem großen Holzstab schiebt der Mann, auf dessen Schädel eine rotweiße Kappe zu schweben scheint, die Dhau über das flache, leicht im Wind schwappende Wasser. Ebbe. Wenn wir zurückkehren, wird Flut sein.

Während der Überfahrt sickert Wasser durch zwei Löcher im Kanurumpf. Ein junger Bursche angelt etwas Baumwolle aus seiner Hosentasche und stopft es in die Löcher. So geschickt, wie er dabei ist, macht er es sicher nicht zum ersten Mal.
Wir schaukeln weiter, schöpfen Wasser aus dem Kanu ins Meer, während das Meer eine gleiche Menge Wasser über die Planken zurück ins Boot spuckt.

Außer Mohammed und dem Jungen mit der Baumwolle suchen im Boot noch mehr Leute das Gleichgewicht: Ramadan, unser Guide, Markus und ich, der andere Markus, sowie Jan aus Berlin. Im Rahmen eines Eberswalder Forschungsprojektes zum Erhalt der Natur Ostafrikas reichert der 27-jährige Ökologiestudent trockene Wissenschaft mit hautnah Erlebtem an und genießt dabei ganz ungeniert den viermonatigen Abstand zu den stickigen Hörsälen seiner Uni. Er fasst in seinen dunklen Vollbart und lässt die gutmütigen Augen über das glasklare Wasser hin zur rötlichen Erde am Ufer von Uzi tanzen.

„Schöner kann man nicht lernen“, sagt er fröhlich.

Vom Hafen, in dem die Dhaus wie loses Geäst wackeln, brechen wir zur Mittagszeit auf nach Uzi, in ein Dorf also, das genauso heißt wie diese Insel.
„Sansibar lernst Du nicht am Strand kennen“, doziert Ramadan mit heller Stimme, und Jan nickt wissend.
Im Dorf meckern uns Ziegen an. Neugierig stecken sie die mageren Köpfe durch die krummen Holzlatten ihrer Behausung. Eines der Tiere kaut eine Zeitungsseite, mit veralteten Meldungen, die selbst, als sie aktuell waren, hier niemanden interessiert zu haben scheinen.
„Die Menschen auf Sansibar haben ihre eigenen Geschichten“, übersetzt Ramadan die Worte des Kapitäns. Derweil nehmen wir auf überdachten Bänken Platz. An diesem Ort, so Ramadan, erfahre man viel mehr über das Leben als aus einer Zeitung. Am Abend, erzählt er, versammeln sich an diesem Platz stets junge Leute und lauschen den Geschichten und Gedichten, den Märchen und Mythen der Alten. Schatten liegt wie ein kühlendes Tuch über unseren erhitzten Köpfen, und unter dem Dach aus Palmenholz scheinen noch die wortgewordenen Erlebnisse der Alteingesessenen zu schweben.

Der stolze Kapitän geht voran, durch erhitzte Häuserzeilen, vorbei an Fenstern, die rötlicher Lehm oder chinesische Pappkartons abdichten. Kinder rennen vor uns weg, laufen uns entgegen, rennen wieder fort – wie Ebbe und Flut. Männer sitzen in den Trikots von Arsenal und Barcelona vor den Häusern. Männer, die niemand einwechselt, die Zeit nicht wie wir wahrzunehmen scheinen.
Wie aus dem Nichts taucht ein Kiosk auf, mit Keksen und warmer Brause im Angebot. Wer mag hier einkaufen, frage ich Ramadan.
„Bestimmt Du“, erwidert er und lacht, als ich es tatsächlich tue, ich fünfhundert Schilling aus der Tasche nestle und eine warme, giftgrüne Brause wähle.

Mohammed, der Kapitän, führt uns fort aus dem Staub unter dem Kioskdach. Wieder tauchen wir durch eine Tür in ein uns fernes Leben aus Stein und Lehm, aus ausgeblichenen Säcken und engen Räumen, aus zehn, zwölf Kindern, die an der Schürze einer stummen Großmutter ziehen, und Männern, die Mohammeds Brüder, Cousins oder Schwager sind. Über einer Tür steht: „Vertraue in Gott, den höchsten aller Richter.“
„Glaubst Du an Gott?“, fragt mich Ramadan.
„Ich glaube an das Gute“, erwidere ich. Der Junge sieht mich grübelnd an, als forsche er, ob wir dasselbe meinen.
„Ich glaube, es wird Zeit“, sagt er schließlich und klopft mir auf die Schulter.

Die Flut. Mohammed sticht den langen Stab in die See. Der Arm der Menaibucht greift nach dem schmalen Boot, schaukelt es wie gierig, Wasser schmatzt, wir schöpfen es, das Meer bringt es zurück ins Kanu. Wir durchqueren die Mangroven. – Wir kommen an.
„Aber niemals im Herzen“, sagt Ramadan und lächelt mit den Augen. „Da sind wir immer Reisende, oder?“

3 Responses to In Wellen

  1. Vielen Dank für das „Mitnehmen“. Schade, dass es schon vorbei ist oder kommen noch mehr Geschichten?

  2. Dankeschön :)

  3. Klasse geschrieben Markus.

Leave a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert